Seite erstellt am 18.08.1998
Seite aktualisiert am
08.01.2018
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"Beiträge der Psychologie zur Programmentwicklung des WHO-Regionalbüros für Europa"
Für die Konzeption der ersten europäischen GFA-Politik „Gesundheit für alle bis zum Jahr 2000"
führte die WHO-Euro 1984 eine Konferenz mit der Europäischen Föderation der Berufsverbände von Psychologen (EFPPA) durch und
erörterte den Beitrag der Psychologie zur GFA-Politik. „Diese Konferenz kann
zeitlich als der Kristallisationskern der Entwicklung einer
Gesundheitspsychologie in Deutschland betrachtet werden", so wird die Tagung von
Curd Michael Hockel
kommentiert, der für den BDP an der Tagung teilnahm. Die WHO-Euro erstellte einen
unveröffentlichten Tagungsbericht „Contribution of Psychology to Programme development in the WHO Regional Office in Europe“.
Nachfolgend werden einige der bei der Tagung erörterten Beiträge der Psychologie zur GFA-Politik wiedergegeben. Diese Beiträge sind weiterhin für die Gegenwart und Zukunft sehr bedeutsam.
Definition von Zielen
Die Psychologie trägt dazu bei, allgemeine Zielsetzungen für Programme zur „Gesundheit für alle“ zu definieren.
Vor allem identifiziert sie durch ihre Forschung allgemeine Muster von Verhalten und Fähigkeiten, die mit vielen Aspekten der physischen und psychischen Gesundheit verbunden sind.
Ein wichtiges Fähigkeitsmuster ist beispielsweise die soziale Kompetenz, d.h. im sozialen Feld erwünschte Auswirkungen erzielen, zuhören, Konversation führen, Einstellungen und Gefühle genau ausdrücken. Soziale Kompetenz mindert die Risiken für einen weiten Bereich psychischer Gesundheitsprobleme, für Alkohol- und Drogen-Mißbrauch und für gewalttätiges Verhalten. Soziale Kompetenz läßt sich inhaltlich mit zugehörenden Verhaltensweisen konkret umschreiben, operational definieren, zuverlässig erfassen und bewerten sowie mit bewährten Methoden bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen trainieren; sie wirkt sich auf weite Bereiche des Gesundheitsverhaltens aus.
Mit physischer und psychischer Gesundheit sind z.B. auch folgende weiteren individuellen Muster verbunden:
- positive Selbsteinschätzung: den eigenen Wert positiv beurteilen;
- emotionsbezogene Fähigkeiten: Emotionen genau wahrnehmen, attribuieren und benennen und angemessen ausdrücken;
- Selbstkontrolle: das eigene Verhalten in bezug auf gesetzte Ziele steuern, zu erwartende Belohnungen und Bestrafungen berücksichtigen, Befriedigungen aufschieben können;
- wahrgenommene Kontrolle: Verantwortung und Kontrolle in bezug auf bedeutende Lebensaspekte wahrnehmen;
- Problemlösefähigkeiten: Probleme im eigenen Leben identifizieren, definieren und analysieren, Lösungswege auswählen und anwenden, Folgen abzuschätzen;
- biologisch und psychosomatisch relevante Fähigkeiten: physische Zustände (z.B. Erregungen und Hunger) bemerken, genau bewerten, wirksam und nichtschädigend regulieren.
Zur Durchführung von Gesundheitsförderungsprogrammen
In Gesundheitsförderungsprogrammen mit Jugendlichen und Erwachsenen bestehen wichtige Aufgaben darin,
gesundheitsfördernde Muster zu trainieren und ihre Integration in den Alltag zu fördern, um gesundheitsbezogene Fortschritte zu erreichen.
Der soziale Kontext ist bei Gesundheitsförderungsprogrammen besonders zu berücksichtigen. U. a.
sollen sich Gesundheitsförderungsprogramme an Personen richten, die sie besonders benötigen, und diese
sollen einen Zugang zu ihnen finden.
Gesundheitsförderungsprogramme sind möglichst in normale alltägliche Aktivitäten wie Bildung, Arbeit und Freizeit zu integrieren. Besonders geeignet ist es, Gesundheitserziehung und -trainings in andere Aktivitäten einzubinden, bei denen die Zielpersonen aktiv mitmachen. Beispiele dazu sind: berufstätigen Menschen während ihrer Arbeitszeit Trainings anbieten, Peergruppen zur Unterstützung eines Programmes mobilisieren, physische Umweltbedingungen zwecks Verstärkung des Nichtrauchens und Verminderung des Rauchens ändern. Peergruppen und ihre Normen spielen eine besonders wichtige Rolle für individuelle Werthaltungen und Verhaltensweisen von Individuen; Gruppendiskussionen in Peergruppen sind für die Veränderung individueller Werthaltungen und Verhaltensweisen besonders effektiv.
Gesundheitsförderungsprogramme wurden schon in verschiedene Alltagssettings integriert: vor allem in Familien, auch in Kindergärten, Schulen und anderen Erziehungseinrichtungen. Da Familienerfahrungen die Entwicklungen von Kindern sehr beeinflussen, z.B. Entwicklungen in bezug auf Intelligenz, Bildungsmöglichkeiten, Delinquenz, verschiedene psychische Störungen; ist das Setting der Familie besonders geeignet, um erwünschte Veränderungen bei Kindern zu erzielen. Die Auswirkungen solcher Programme in verschiedenen Settings sind zu überprüfen.
Für das Ziel, Menschen zu gesundheitsförderlichen Veränderungen von Lebensweisen anzuregen und zu motivieren, sind sie zu ermutigen, Selbstverantwortung für ihre eigenen Handlungen zu übernehmen. Es ist nicht sinnvoll, individuelle Verantwortungen für Gesundheit zu vermindern und durch gesellschaftliche Verantwortungen zu ersetzen. Geeignete Zuweisungen von Verantwortung sind wichtig, um Hypothesen darüber aufzustellen, wie sich erwünschte Gesundheitsergebnisse erreichen lassen und wo Interventionen am ehesten erfolgreich sind.
Effektive Gesundheitsförderungsprogramme müssen auf einem klaren Verständnis von Faktoren für die Entwicklung von spezifischen Lebensstile, für Veränderungen von Lebensstilen und für die Beziehungen zwischen Lebensstilen und Gesundheit beruhen. Das Verständnis solcher Faktoren in bezug auf Lebensstile ist ein zentraler Beitrag der Psychologie. Weiterhin besteht die Aufgabe, für die Evaluation solcher Progamme Meßmethoden für Lebensstile zu entwickeln, und zwar möglichst zuverlässige und gültige Meßmethoden, die Lebensstil-Vergleiche zwischen verschiedenen Teilen Europas ermöglichen.
Die Psychologie bietet zur Gestaltung von Gesundheitsförderungsprogrammen vielfältige Fachkompetenzen: in bezug auf die Informationsinhalte von Programmen und ihre Präsentation, auf Anregungen und zu trainierenden Fähigkeiten sowie auf geeignete Zeitstrukturierungen. Die Psychologie kennt viele bewährte Interventionsmethoden, um bei Individuen und Gruppen positives Gesundheitsverhalten zu fördern und negatives Gesundheitsverhalten zu vermindern. Psychologen bringen für alle Bereiche, die durch Gesundheitsziele angesprochen werden, bedeutsame Fähigkeiten zur Bewertung und Messung in bezug auf Forschungsansätze und Programm-Evaluationen mit.
Zur Förderung von Lebensqualität können Psychologen auch dadurch beitragen, daß sie Individuen und Gruppen befähigen, Lebensziele zu erkennen und zu definieren und Wege zu ihrer Verwirklichung zu planen. Die Ziele und Bedürfnisse verschiedener Gruppen können mit der Gesellschaft in Konflikt kommen; Sozialpsychologen stellen Modelle und Methoden zur Verfügung, um solche Konflikte zu einer größeren Zufriedenheit zu bewältigen. Menschen sind oft im Leben enttäuscht, weil sie nicht ihr volles Potential verwirklichen können; Psychologen helfen dazu, alternative Ziele zu erkennen, die mehr den individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen entsprechen.
Die Bedeutung der Psychologie für die GFA-Strategie
Die Psychologie ist für die Konzeptionierung und Verwirklichung der GFA-Strategie sehr bedeutsam. Die Psychologie befaßt sich mit der Grundlagenforschung und der Ausarbeitung genereller Theorien und Prinzipien, von denen viele von zentraler Bedeutung für die GFA-Strategie sind. Psychologie ist weiterhin ein Berufsfeld zur Anwendung von psychologischen Prinzipien und Methoden in einem weiten Bereich praktischer Probleme; Psychologen sind Fachleute für in der GFA-Strategie zu verwirklichenden Methoden zur Veränderung und Beibehaltung von Verhaltensweisen. Mit dem einzigartigen Vorteil, eine wissenschaftliche Disziplin und ein Berufsfeld zu sein, ist die Psychologie sehr geeignet, die Interaktion zwischen Theorie und Praxis zu fördern.
Für die Bewältigung von Gesundheitsproblemen kann die Psychologie aufgrund ihrer Fachgebiete und Berufsfelder eine Vielfalt von verschiedenen Zugängen, Ergebnissen und Perspektiven zur Verfügung stellen. Sie kann vor allem innovatives Denken für eine allgemeine Bewegung zur „Gesundheit für alle“ fördern. Die Psychologie hat in den Gesundheitsdiensten vieler Länder einen bedeutenden Einfluß und kann in ihrer Erneuerung eine große Rolle spielen.
Die Psychologie ist als akademische Forschung und als berufliches Anwendungsfeld in nahezu jedem europäischen Land gut etabliert. Seit der Gründung der EFPPA existiert ein Konzept von internationalen Kooperationen.
Neuorientierung der Psychologie
Für bessere Beiträge der Psychologie zur Verwirklichung der GFA-Strategie werden Neuorientierungen im Berufsfeld der Psychologie für erforderlich gehalten, zum Beispiel:
- Neue Aufgaben für klinische Psychologen: Klinische Psychologen sollen nicht nur im Feld psychischer Störungen mit Einzelpersonen oder Kleingruppen arbeiten, sondern sich stärker in der primären Gesundheitsversorgung, in der Prävention körperlicher Erkrankungen sowie in der Gesundheitsförderung einsetzen. Maßnahmen, mit denen sich viele Menschen erreichen lassen, sind durch die Gestaltung direkter öffentlichkeitsbezogener Maßnahmen sowie durch die Aus- und Fortbildung für andere Gesundheitsberufe und für Laienhelfer zu fördern.
- Neue Aufgaben für Pädagogische Psychologen: Kinder und Jugendliche brauchen neben Informationen über gesunde Lebensweisen auch Unterstützungen zur Entwicklung notwendiger emotionaler, kognitiver und verhaltensmäßiger Fähigkeiten und Gewohnheiten.
- Neue Aufgaben für ABO-Psychologen sind die Gestaltung von Arbeitsplätzen im Sinne der Streß-Reduzierung und die Einführung von Programmen zur Gesundheitsförderung in Betrieben.
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