Seite erstellt am 18.08.1998
Seite aktualisiert am
27.03.2017
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Dass Gesundheitsförderung und Prävention eine gesamtgesellschaftliche Querschnittsaufgabe ist, die sektorübergreifend alle Politik und Gesellschaftsbereiche durchdringen muss, wird nicht nur in der Fachöffentlichkeit, sondern auch in der Politik so gesehen. Ausdruck findet diese Haltung im Deutschen Forum Prävention und Gesundheitsförderung, in welchem die verschiedenen verantwortlichen Akteure ihren Beitrag zu dieser Gemeinschaftsaufgabe koordinieren wollen. Fakt ist aber auch, dass sich begünstigt durch die leeren Kassen der öffentlichen Hand alle Augen auf die gesetzliche Krankenversicherung richten.
Gesetzesauftrag der GKV in Sachen Gesundheitsförderung und Prävention
Der Gesetzesauftrag des § 20 SGB V neuer Prägung seit dem 1.1.2000 beinhaltet:
- dass durch Prävention nicht nur allgemein die Gesundheit der Versicherten verbessert, sondern insbesondere auch ein Beitrag zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen geleistet werden soll,
- dass sich die Spitzenverbände der Krankenkassen gemeinsam und einheitlich unter Einbeziehung unabhängigen Sachverstandes auf prioritäre Handlungsfelder und Kriterien für Präventionsleistungen insbesondere hinsichtlich Bedarf, Zielgruppen, Zugangswegen, Inhalten und Methodik zu verständigen haben,
- dass es eine jährlich anzupassende finanzielle Sollvorgabe je Versicherten (Euro 2,66 für 2003) gibt.
GKV-Leitfaden: einheitliche Qualitätskriterien und Rahmenbedingungen
Entsprechend der gesetzlichen Anforderungen haben die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen noch im Jahr 2000 den so genannten GKV-Leitfaden zur Umsetzung von § 20 Abs. 1 und 2 SGB V verabschiedet und in 2001 aktualisiert. In diesem Leitfaden werden Qualitätskriterien und Rahmenbedingungen definiert, die von allen Kassen und den mit ihnen kooperierenden Partnern eingehalten werden müssen. Dadurch soll eine einheitliche qualitätsgesicherte Leistungserbringung gewährleistet werden.
Verhaltensprävention und Verhältnisprävention
Der GKV-Leitfaden beschreibt zwei Ansätze, mit denen Krankheitsrisiken und Belastungen eingedämmt bzw. deren Entstehung verhindert werden sollen und die Gesundheit gefördert werden kann:
- Interventionen, die mehr auf Verhältnisse abzielen und durch Strukturbildung die Gesundheit fördern (Setting-Ansatz) und
- Interventionen, die in erster Linie auf den Menschen und sein Verhalten ausgerichtet sind und die individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten einer gesunden Lebensführung stärken (individueller Ansatz).
Unter dem so genannten individuellen Ansatz sind die relativ bekannten Kursangebote der Kassen zu subsumieren, bei denen auch Diplom-Psychologen/ innen als Anbieter tätig sind. Mit Kursangeboten werden aber aufgrund der ihnen in der Regel immanenten Komm-Struktur sozial Benachteiligte nicht genügend erreicht. Unter diesem Aspekt ziehen ausschließliche Gruppenangebote in der fachpolitischen Öffentlichkeit Kritik auf sich. Für die Zielgruppe sozial Benachteiligter sind nämlich Bring-Strukturen notwendig und es gilt der Settingansatz als erfolgversprechend, weil
- die Betroffenen dort erreicht werden wo sie leben, die Schule besuchen, arbeiten, etc.,
- sozial Benachteiligte nicht stigmatisiert und diskriminiert werden und
- Verhältnisprävention und Verhaltensprävention erfolgen kann.
Entsprechend werden als geeignete Settings im GKV-Leitfaden der Betrieb sowie nicht-betriebliche Umfelder wie Kindergärten/Schulen, Familie, Vereine und Stadtteile/Orte genannt.
Für Präventionsaktivitäten nach dem individuellen Ansatz und in der betrieblichen Gesundheitsförderung legt der GKV-Leitfaden vier als wirksam anerkannte prioritäre Handlungsfelder, teilweise mit mehreren Präventionsprinzipien fest. In den Handlungsfeldern Stressreduktion/ Entspannung sowie Genuss- und Suchtmittelkonsum sind als potenzielle Leistungserbringer auch Diplom-Psychologen/innen mit entsprechenden Qualifizierungen genannt.
Für die nicht-betrieblichen Settings (z. B. Schule) gibt der GKV-Leitfaden keine Handlungsfelder fest vor, sondern definiert anhand des Beispiels des Settings Schule Zielebenen sowie Prozessschritte, an denen sich die Krankenkassen unter Beteiligung der verantwortlichen Akteure im Gesundheitsförderungsprozess orientieren sollen.
Settingansatz: Prozesshaftes, auf Nachhaltigkeit ausgerichtetes Vorgehen
Folgende Schritte sind in einem Steuerungsgremium zu organisieren:
- Bedarfsermittlung: Durchführung einer Analyse zur Ermittlung von schulspezifischen Belastungsschwerpunkten, Veränderungsbedarfen und -potenzialen bei den betroffenen Gruppen.
- Zielformulierung: Abgestimmte Priorisierung von Zielen und Einigung über Outcome-Parameter.
- Zielkonkretisierung: Konkretisierung der Ziele in ggf. mehrstufigen Interventionen, Einigung über (Zwischen-) Outcome-Parameter.
- Aufgabenverteilung: Festlegung der Rollen der Akteure, Kooperationspartner und Finanziers für die Gestaltung der einzelnen Interventionen und Interventionsschritte inner- und außerhalb der Schule und der Finanzierung; Zeitplanung.
- Einigung über Qualitätsmanagement: Festlegung von Routinen für die Dokumentation und Bewertung von Interventionen.
- Durchführung der Interventionen.
- Evaluation: Bewertung der Durchführung und Wirkung der Interventionen und zu ziehende Schlussfolgerungen auch unter dem Gesichtspunkt der Verstetigung/Nachhaltigkeit.
Krankenkassenengagement verstärkt
Die gesetzlichen Krankenkassen setzen ihren Gesetzesauftrag nach § 20 SGB V sowohl durch die Vorhaltung eines breitgefächerten zielgruppenspezifischen leitfadengerechten Kursangebotes um als auch durch vielfältige Aktivitäten in der betrieblichen Gesundheitsförderung und zunehmend auch in anderen Settings. Das Engagement z. B. im Setting Schule ist unter mehreren Gesichtspunkten (z. B. unklare Zuständigkeiten, unterschiedliche Entscheidungsebenen, leere Kassen der Kooperationspartner) für die Krankenkassen viel schwieriger als im Setting Betrieb. Trotzdem zeigen die Kassenaktivitäten in den nichtbetrieblichen Settings deutliche Wachstumsraten. So gab es im AOK-System im Jahre 2002 mehr als 50 zum Teil sehr umfängliche Projekte zur schulischen Gesundheitsförderung mit anderen verantwortlichen Kooperationspartnern.
Die Verbreiterung der Settingansätze unter Beteiligung der Krankenkassen, aber auch mit Ressourceneinsatz aller anderen verantwortlichen Akteure (z. B. Öffentlicher Gesundheitsdienst, Schulträger, Schulaufsicht etc.) ist auch notwendig, um insbesondere verstärkt sozial Benachteiligte zu erreichen.
Reformüberlegungen zur Gesundheitsförderung und Prävention
Überlegungen im Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherheit gehen nun dahin, die Kassen zu verpflichten, einen Teil des Budgets des § 20 SGB V gezielt für gemeinsame Setting-Aktivitäten auszugeben.
So sehr es zu begrüßen ist, dass vermehrt diejenigen Bevölkerungsgruppen, die Gesundheitsförderung besonders nötig haben, in den Fokus des Krankenkassenengagements gestellt werden sollen, so sehr ist es abzulehnen, dass nur der GKV dieser finanzunterlegte Auftrag erteilt werden soll, ohne gleichzeitig andere verantwortliche Akteure mit in die Pflicht zu nehmen. Ausfallbürge für öffentliche leere Kassen kann und will die gesetzliche Krankenversicherung nicht sein.
Dipl.-Psych. Karin Schreiner-Kürten
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