Seite erstellt am 18.08.1998
 Seite aktualisiert am 27.03.2017

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Grundlagen der "Gesundheit für Alle im 21. Jahrhundert"

Grundgedanken

Gesundheit gilt als ein fundamentales Menschenrecht: Menschen haben das Recht, sich eines bestmöglichen Gesundheitszustandes zu erfreuen und dadurch ein Gesundheitspotential zu erleben, um ein sozial, wirtschaftlich und geistig erfülltes Leben führen zu können. Die übergreifenden Zielperspektiven beruhen auf der Betonung hochwertiger ethischer Grundlagen im Sinne der Zielsetzungen der UNO sowie auch im Sinne aller großen Religionen.

„Gesundheit für alle“, wörtlich genommen, ist eine anregende Zukunftsvision. Sie zielt auf eine von sozialen und gesundheitsbezogenen Kriterien getragene Globalisierung, die bessere Bedingungen für eine Weiterentwicklung der gesamten Menschheit unter Beachtung fundamentaler Menschenrechte ermöglicht.

Die GFA-Strategie ist ein Aufruf an die Regierungen und an alle politisch und wirtschaftlich mitgestaltenden Organisationen, die Gesundheit der Bevölkerung zu einem wesentlichen Focus sozialer, wirtschaftlicher und politischer Entwicklungen zu machen, Gesundheit als Motor der sozialen Entwicklung zu begreifen und dazu Chancengleichheit und Solidarität in sozialen Systemen und zwischen ihren Teilsystemen zu fördern. Für soziale Entwicklungen und auch für wirtschaftliche Entwicklungen ist das Ausmaß der Gesundheit in der Bevölkerung entscheidend. Investitionen in Gesundheit und in eine nach wissenschaftlichen Kriterien effektive Gesundheitsförderung sind Kosten sparende Investitionen für günstige und soziale und wirtschaftliche Entwicklungen; demgegenüber werden Kosten durch Krankheiten verursacht, die als Nebenwirkungen eines Mangels an bewusster Gesundheitspflege, Gesundheitsvorsorge und -förderung gelten können.

Politische Perspektiven

Die 51 europäischen Mitgliedstaaten der WHO haben durch die Verabschiedung der erneuerten GFA-Strategie bekundet, die Ziele der „Gesundheit für alle“ als einen Auftrag an ihre gesamte Politik zu verstehen und sie als wichtige Orientierung für ihre Gesundheitspolitik anzunehmen. Die GFA-Strategie ist also eine Absichtserklärung der Mitgliedstaaten bzw. ihrer Regierungen.

Die durch ‘Globalisierung’ gekennzeichnete weltweite Entwicklung ist bisher vorrangig von marktwirtschaftlichen Faktoren beeinflusst. Negative Auswirkungen sind verschlechterte ökologische Lebensbedingungen (Stichwort ‘Klimawandel’), vermehrte Armut, vermehrte Arbeitslosigkeit und Arbeitsplatzunsicherheit mit großen gesundheitlichen Nachteilen für betroffene Bevölkerungsgruppen. Die sozialen Unterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen und zwischen verschiedenen Nationen wachsen, Chancenungleichheit nimmt zu. Aus systemtheoretischer Sicht fördert die gegenwärtige wirtschaftsbetonte Globalisierung für das globale System der Menschheit eher desintegrative Entwicklungen als systemintegrative Entwicklungen. Für die Zukunft ist eine Trendwende in der Globalisierungs-Entwicklung ‘not-wendig’: Für eine erhöhte Integration des globalen Systems der gesamten Menschheit sind soziale und gesundheitliche Entwicklungen zu fördern.

Mehr Chancengleichheit im Bereich der Gesundheit - dieses Ziel steht im Vordergrund der erneuerten GFA-Strategie, vor allem weil die Zahl der von Armut betroffenen Menschen wächst und weil Armut der bedeutendste Negativfaktor für Gesundheit ist. ‘Chancengleichheit fördern’ heißt aus systemtheoretischer Sicht: in übergreifenden sozialen Systemen mehr auf Systemintegration zielen und dazu Gleichgewicht durch positive Verbindungen zwischen den Teilsystemen und vor allem durch gezielte Stärkung benachteiligter Teilsysteme fördern.

Zum Gesundheitsverständnis

Die individuelle Gesundheit wird in der erneuerten GFA-Strategie vor allem aus der Entwicklungsperspektive und der Sicht auf den gesamten Lebensverlauf von Menschen betrachtet. Für die verschiedenen Entwicklungsphasen werden gesundheitsrelevante körperliche, psychische und soziale Aspekte erläutert. Gesundheit bezieht sich demnach auf: genetische Anlagen, Embryonalphase, Geburt, Kindheit und Jugendzeit, Erwachsenenzeit als eine Hochphase des Lebens mit vielen Teilphasen, Altern, Sterbephase bis hin zum Tod. ‘Gesundheit’ verwirklicht sich in phasenspezifischen Entwicklungsprozessen des Lebensverlaufes und besteht im Erleben und Verwirklichen phasenspezifischer Potentiale.

Als gesellschaftliche Einflüsse auf Gesundheitsentwicklungen im gesamten Lebensverlauf werden neben dem Faktor der wirtschaftliche Stabilität folgende psychologischen Faktoren hervorgehoben: „sozialer Zusammenhalt, die Entwicklung von Problembewältigungsfähigkeiten und die Möglichkeiten einzelner, ihr Umfeld zu beeinflussen, sowie eine Verringerung von Frustrationen und Versagensängsten.“ (WHO-Euro, 1998, 21)

Menschen leben in sozialen Systemen, nämlich in Familien und anderen alltäglichen Gemeinschaften, in denen sie ‘leben, spielen, lernen und arbeiten’, sowie in Gemeinden, Nationen, Wirtschaftssystemen; sie werden in ihrem gesundheitsbezogenen Denken und Handeln zutiefst von den sozialen Systemen beeinflusst. Als gesunde Lebensbedingungen in sozialen Systemen sind in der GFA-Strategie folgende sozialpsychologischen Faktoren hervorgehoben: sozialer Zusammenhalt und dadurch vermittelte soziale Sicherheit sowie positive soziale Bedingungen für eine freie Entfaltung körperlicher, psychischer und sozialer Potentiale.

In der GFA-Stategie spricht das Motto „gesunde Entscheidungen erleichtern“ ein Kernziel der Gesundheitsförderung an. Es zielt sowohl auf individuelle Menschen, die sich gesundheitsbezogen entscheiden und somit auch Ausprägungen ihrer Gesundheit selbst bestimmen können, als auch auf die gesundheitsförderliche Gestaltung von Lebensbedingungen in der Umwelt, die erleichternde Wirkungen auf individuelle Gesundheitsentscheidungen haben können. Dementsprechend umfasst Gesundheitsförderung ökologische, soziale und wirtschaftliche Aufgaben, Lebensbedingungen in ökologischen und sozialen Systemen zugunsten von gesundheitsfördernden Wahlmöglichkeiten zu verbessern.

Adressaten und Partner

Die Regierungen der Mitgliedstaaten sind die ersten Adressaten der GFA-Strategie. Weiterhin sind Organisationen auf allen Ebenen - landesweite und kommunale Organisationen in den Bereichen Bildung, Familie, Gesundheit, Sozialwesen, Umwelt und Wirtschaft - als Partner-Organisationen eingeladen, sich mit den GFA-Zielen im Denken und Handeln zu befassen, die Relevanz der GFA-Ziele für ihre eigenen Sozialprozesse und ihre gesellschaftlichen Aufgaben zu reflektieren, die Menschen und ihre Alltagsgemeinschaften über wichtige Aspekte der GFA-Strategie zu informieren sowie Möglichkeiten zur aktiven gesellschaftlichen Mitarbeit im Sinne der GFA-Strategie zu entdecken und aktiv zu nutzen.

Auch sind alle Alltagsgemeinschaften und Menschen als Bürger der Mitgliedstaaten eingeladen, sich mit der GFA-Strategie zu befassen, auch in Bezug auf ihre persönlichen Rechte und Verpflichtungen, und ihr gesundheitsbezogenes Denken und Handeln anregen zu lassen.

Die GFA-Strategie betont das Recht auf Partizipation bzw. auf aktive Mitwirkung zur Verwirklichung der GFA-Strategie: „Das Recht auf Partizipation ... gilt für alle Partner für die Gesundheit, d. h., sämtliche Mitglieder der Gesellschaft, die durch ihren persönlichen Beitrag als Individuum oder in ihrer beruflichen Rolle zur Gesundheitsverbesserung beitragen können.“ (WHO-Euro 1998, 134)

Mit dem Recht auf Partizipation ist auch die Aufgabe der Selbstverantwortung für gesundheitsbezogenes Handeln verbunden. „Partnerschaft bedeutet, daß alle Partner Verantwortung für die gesundheitlichen Konsequenzen ihrer Politik und ihres Handelns tragen und ihr Teil der Rechenschaftspflicht für die Gesundheit übernehmen müssen.“ (WHO-Euro 1998, 134)