Seite erstellt am 18.08.1998
Seite aktualisiert am
29.03.2017
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Bericht vom Treffen der Regionalgruppe Gesundheitspsychologie München am
27.06.2007:
"Psychische Folgen von Geiselnahme und Gefangenschaft"
Im Rahmen der Vortragsreihe der Münchener Regionalgruppe
Gesundheitspsychologie hat unser Kollege Dipl.-Psych. Wolfgang Weber, Fürstenfeldbruck, am 27. Juni 2007 unter
der Überschrift »Geiselnahme und Gefangenschaft – ihre Auswirkungen auf
Psyche und Gesundheit« über Erfahrungen und Erkenntnisse aus
Trainingsszenarios berichtet. Letztere sammelte er nicht zuletzt bei
IFOR-/SFOR-Einsätzen. Veranstaltung der Münchner Regionalgruppe GUS In
seinem Referat analysierteWeber die Thematik ausschließlich aus der Rolle der
Betroffenen. Ausgehend von dem zivilisatorischen Hexagon nach D. Senhans,
nach dem Affektkontrolle, gewaltfreies Konfliktmanagement, demokratische
Teilhabe, soziale Gerechtigkeit etc. zu den zivilisatorischen Errungenschaften
eines Individuums gehören, wurden, ausgehend von bekannt gewordenen Aussagen
von Opfern, grundlegende und übereinstimmendeDimensionen des Erlebens
herausgearbeitet. Das, was wir alsWeltbild bezeichnen – der normative
Bezugsrahmen eines Individuums mit seinen Einstellungen, Werten und Normen –,
wird schlagartig »ver-rückt«. Im Augenblick eines Überfalls oder einer
Geiselhaft ist das Individuum seiner normalen Realität beraubt, was von einer
Sekunde auf die andere zu einer Einschränkung der kognitivenpsychischen und
körperlichen Leistungsfähigkeit, zu einem Gefühl des Ausgeliefertseins mit einem
hohem Angstpotenzial und zu stressreaktiven Schocks führt.Wenn »critical
incidents « potenziell traumatisierende Ereignisse darstellen, dann scheint
die Wirkung dieser Ereignisse abhängig zu sein von der Selbstwahrnehmung der zur
Verfügung stehenden Kriterien der Einschätzung: Welche visuelle Orientierung
bleibt?, Welcher Grad der Hilf- und Machtlosigkeit wird erlebt? Wie groß ist
die Ausprägung der persönlichen Betroffenheit, das graduelle Ausmaß der
Identifikation und die aktuelle Bedrohung von Leib und Leben? Selbst Training
kann traumatisierend wirken In Situationen eines Überfalls oder einer
Geiselnahme haben Stressoren (Entwaffnung, Fesseln, Augenbinde,
Sprachprobleme, Abnahme persönlicher Gegenstände, Trennung von Mitgefangenen)
differenzierte Auswirkungen: Während in Fällen eines erlebten Überfalls sich
Angstkaskaden mit Erstarrung entwickeln können, weil ein Angriff oder eine
Flucht als zwecklos erlebt werden, dominieren im Falle einer Gefangenschaft
trotz stressreaktiven Schocks und erlebter Hilfs- und Hoffnungslosigkeit die
Überlebensstrategien aufgrund der möglichen Zusammenarbeit in einer Gruppe.
Dementsprechend differenziert gestalten sich auch die »Todo«-Hilfsmaßnahmen,
die sich aus dem SAFER-Modell (Stabilisierung und Stimulationsreduktion,
Akzeptieren der Krise, falsche Bewertungen der Reaktionen verhindern,
Ermutigungen aufweisen, Rückführung in 24-Stunden-Perspektive) ableiten
lassen. Aufhorchen ließ Webers Hinweis, dass bereits präventiv ausgerichtete,
aber real inszenierte Trainingsszenarienmit einer 48-stündigen physischen
Belastung in Form eines Redeverbots traumatisierend wirken können. Daher
seien solche Trainingsszenarien unter absoluter fachlicher Aufsicht und hier
auch nur bedingt durchführbar. Vor allem in der Unmittelbarkeit der Zuwendung
zum Opfer, in der möglichen Nähe und in dessen berechtigten Erwartungen zeigt
sich der Grundgedanke der Krisenintervention, die einfach, pragmatisch,
problemorientiert und innovativ sein sollte – und darin unterscheide sie sich
von der einer Psychotherapie. Thomas WelkerNähere Informationen sind erhältlich bei Thomas Welker, Regionalgruppe
Gesundheitspsychologie München/Südbayern:
T 089 – 33 69 57, Thomas-Welker@web.de
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