Seite erstellt am 18.08.1998
 Seite aktualisiert am 27.03.2017

Sektion > Gesundheit & Umwelt > Nationale Gesundheitspolitik > Gesundheitsziele

Relevante Themen aus dem Bericht von Gesundheitsziele.de für Psychologinnen und Psychologen

Maximilian Rieländer 05.03.2003
(für Report Psychologie 4/2003)

Zur ausführlichen Darstellung und Kommentierung (PDF-Format)

Im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums hat die Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung (GVG) 12/2000 das Projekt gesundheitsziele.de – Forum Gesundheitsziele Deutschland« initiiert, um konkrete Vorschläge zur Einführung von Gesundheitszielen als Handlungsgrundlage für die Akteure im Gesundheitswesen zu erarbeiten. Die GVG hat nun zur bisherigen Projektarbeit einen ausführlichen Bericht »gesundheitsziele.de – Forum zur Entwicklung und Umsetzung von Gesundheitszielen in Deutschland« vorgelegt.

Nachfolgend werden aus dem Bericht ausgewählte Informationen wiedergegeben, die für berufliche Aufgaben und Tätigkeitsfelder von Psychologen/innen relevant sein können.

Absichten für gesundheitsziele.de

Das Projekt gesundheitsziele.de dient dazu, durch einen organisierten Konsensbildungsprozess mit Unterstützung maßgeblicher Organisationen des Gesundheitswesens in Deutschland einige exemplarische Gesundheitsziele mit Umsetzungsstrategien zu erarbeiten und damit Gesundheitsziele in Deutschland komplementär zu bestehenden Instrumenten der Gesundheitspolitik zu etablieren. Die Vereinbarung und Umsetzung von Gesundheitszielen dient vor allem dazu, die Gemeinwohlorientierung im deutschen Gesundheitswesen mit neuen Mitteln zeitgemäß deutlich sichtbar und handlungsorientiert weiter zu entwickeln. Angeregt durch die Zielsetzungen der Weltgesundheitsorganisation für Europa »Gesundheit21« (vgl. http://www.bdp-gus.de/who21/index.htm) haben sich unter der Leitung der GVG die beteiligten Akteure darauf geeinigt, keine umfassenden Gesundheitsziele zu formulieren, sondern zunächst zu einigen exemplarisch ausgewählten Bereichen Gesundheitsziele mit Oberzielen, Zielen, Teilzielen sowie mit Maßnahmen und Akteuren für die Umsetzung der Maßnahmen zu bestimmen und die künftige Umsetzung der Ziele zu evaluieren.

Die Auswahl der Gesundheitsziele erfolgte pragmatisch nach folgenden Kriterien: wissenschaftliche Fundierung (Mortalität, Morbidität, Verbreitung des Gesundheitsproblems), Bestimmung durch formalisierte Partizipations- und Konsensprozesse, vorhandene Maßnahmen zur Problembewältigung, Umsetzbarkeit durch vorhandene Akteure in den nächsten Jahren, Evaluierbarkeit, ökonomische Relevanz, Bürger- und Patientenbeteiligung.
Wichtige Bezugspunkte für die ausgewählten Gesundheitsziele waren:

  • Verminderung ausgewählter chronischer Erkrankungen durch bessere Prävention, Diagnose, Therapie und Rehabilitation,
  • Stärkung der Gesundheitsförderung und Prävention,
  • ausgewählte Bevölkerungs- und Altersgruppen, Förderung gesundheitlicher Chancengleichheit,
  • Stärkung der Bürger-, Patienten und Selbsthilfeorientierung.

Der vorgelegte Bericht dokumentiert für die bisher bearbeiteten Themen

  • Diabetes
  • Brustkrebs
  • Tabakkonsum reduzieren
  • Gesund aufwachsen: Ernährung, Bewegung, Stressbewältigung
  • Kompetenz erhöhen, Patientensouveränität stärken

den Abschluss der konsensuellen Bestimmung von Oberzielen, Zielen und Teilzielen sowie die Benennung geeigneter, möglichst evidenzbasierter wirksamer Maßnahmen zur Umsetzung der beschlossenen Ziele.
Durch den Bericht werden auch gezielt Akteure bzw. Organisationen angesprochen, um sie zur Mitarbeit bei der Umsetzung der einzelnen Ziele und ihrer Evaluation zu gewinnen. Nachfolgend werden zu den ausgewählten Themen alle Ziele sowie ausgewählte Teilziele und Maßnahmen, die auf psychologische Tätigkeitsfelder verweisen, benannt.

Zielbereiche mit Zielen, Teilzielen und Maßnahmen

A: Diabetes mellitus Typ 2: Erkrankungsrisiko senken, Erkrankte früh erkennen und behandeln

Ziel 1: Das Auftreten des metabolischen Syndroms und die Inzidenz des Diabetes mellitus Typ 2 sind reduziert (Aktionsfeld Primärprävention).

Ziel 2: Der Diabetes mellitus Typ 2 wird häufiger in einem Krankheitsstadium diagnostiziert, in dem noch keine Folgeschäden aufgetreten sind (Aktionsfeld Sekundärprävention/ Früherkennung).

Ziel 3: Die Lebensqualität von Menschen, die an Diabetes mellitus Typ 2 erkrankt sind, ist erhöht. Folgeprobleme und Komplikationen sind nachweislich verringert (Aktionsfeld Krankenbehandlung/ Rehabilitation).

B: Brustkrebs: Mortalität vermindern, Lebensqualität erhöhen

Ziel 1: Brustkrebs wird in einem frühen und damit prognostisch günstigeren Stadium erkannt (Früherkennung/ Sekundärprävention).

Ziel 2: Für Patientinnen ist eine qualitativ hochwertige und evidenzbasierte Versorgung flächendeckend und strukturiert gewährleistet (Diagnostik, Therapie, Nachsorge).

Ziel 3: Das Wissen über die Erkrankung ist bei den Nichtbetroffenen und Patientinnen verbessert. Verständliche, evidenzbasierte, einheitliche, neutrale und umfassende Informationen sind für potenzielle und tatsächliche Betroffene sowie auch für deren Angehörige vorhanden (Information der Nichtbetroffenen und der Patientinnen).

Ziel 4: Die Patientinnen sind über vorhandene Therapieoptionen informiert und Partnerinnen im medizinischen Entscheidungsprozess (Einbindung der Patientinnen in die Therapieentscheidung bzw. Patientenrechte).

Ziel 5: Die Lebensqualität der Patientinnen ist durch eine bedarfsgerechte und qualitätsgesicherte psycho- soziale Betreuung und ggf. psychoonkologische/ psychotherapeutische Behandlung verbessert (psychosoziale und psychoonkologische Betreuung der Patientinnen).

Ziel 6: Wo immer indiziert, haben Patientinnen mit Mammakarzinom die Möglichkeit, an flexibilisierten Angeboten in der Rehabilitation teilzunehmen (Rehabilitation).

Ziel 7: Klinische Krebsregister werden in ausreichender Zahl und voll funktionsfähig geführt und genutzt. In den Ländern werden flächendeckend bevölkerungsbezogene und vollzählige Krebsregister geführt (Register).

C: Tabakkonsum reduzieren

Ziel 1: Eine effektive Tabakkontrollpolitik ist implementiert (Maßnahmenbereich A: Verhältnisebene; gesetzgeberische/ strukturelle Rahmenbedingungen verbessern).

Ziel 2: Die Zahl der entwöhnten Raucher ist gesteigert (Maßnahmenbereich B: Verhaltensebene; Ausstieg fördern/Raucherentwöhnung).

Ziel 3: Mehr Kinder und Jugendliche hören mit dem Rauchen auf (Maßnahmenbereich B: Verhaltensebene; Ausstieg fördern/Raucherentwöhnung).

Ziel 4: Mehr Kinder und Jugendliche bleiben Nichtraucher (Maßnahmenbereich B: Verhaltensebene; Einstieg verhindern/Förderung des Nichtrauchens bei Kindern und Jugendlichen).

Ziel 5: Weniger Personen sind dem Passivrauchen ausgesetzt.

D: Gesund aufwachsen: Ernährung, Bewegung, Stressbewältigung

Das gesamte Zielspektrum umfasst folgende Dimensionen:

Settingebenen:

  • a) Familie und Freizeit
  • b) Kindertagesstätten
  • c) Schulen

Gesundheitsbereiche:

  • 1. Ernährung,
  • 2. Bewegung,
  • 3. Stressbewältigung

Übergreifende Teilziele:

  • Verantwortung der Familie/Kindertagesstätte/ Schule für die Hinführung der Kinder und Jugendlichen zu Ernährung/Bewegung/Stressbewältigung (Setting-Bezug);
  • Stärkung des »Kohärenzsinnes« (Antonovsky, Salutogenese) der Kinder bzw. Jugendlichen (Selbstkompetenz);
  • geeignete Zugangswege für schwer erreichbare Kinder, Mütter und Väter;
  • Wissen und Verständnis, Motivation, Verhaltensziele;
  • verhältnisorientierte Ziele.

Ziel 1: Ernährung: Ein gesundes Ernährungsverhalten bei Kindern und Jugendlichen wird gefördert, Fehlernährung ist reduziert.

Ziel 2: Bewegung: Motorische Fähigkeiten bei Kindern und Jugendlichen sind gestärkt, Bewegungsmangel ist reduziert.

Ziel 3: Stressbewältigung: Fähigkeiten zur Stressbewältigung bei Kindern und Jugendlichen sind gestärkt, Stressoren reduziert, Schutzfaktoren gefördert.

Ziel 4: Die Rahmenbedingungen für Gesundheitsförderung in Familie und Freizeit, in der Kindertagesstätte und in der Schule sind optimiert.

E: Gesundheitliche Kompetenz erhöhen, Patientensouveränität stärken

Ziel 1: Bürger/innen und Patienten/ innen werden durch qualitätsgesicherte, unabhängige, flächendeckend angebotene und zielgruppengerichtete Gesundheitsinformationen und Beratungsangebote unterstützt (Transparenz erhöhen).

Ziel 2: Gesundheitsbezogene Kompetenzen der Bürger/innen und Patienten/ innen sind gestärkt; ergänzende und unterstützende Angebote sind verfügbar (Kompetenz entwickeln).

Ziel 3: Die kollektiven Patientenrechte sind ausgebaut, die individuellen Patientenrechte sind gestärkt und umgesetzt (Patientenrechte stärken).

Ziel 4: Das Beschwerde- und Fehlermanagement erlaubt Versicherten und Patienten/innen, ihre Beschwerden und Ansprüche wirksamer, schneller und unbürokratischer geltend zu machen (Beschwerdemanagement verbessern).

 

Ausblick: Allgemeine Würdigung

Insgesamt ist der vorliegende Bericht zu Gesundheitszielen für die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland positiv zu würdigen. Viele wichtige Aspekte, die sonst oft im Medizinsystem zu kurz kommen, sind bei den Gesundheitszielen berücksichtigt. Insbesondere zielen die Themenbereiche D »Gesundheitsförderung für Kinder und Jugendliche« und E »Gesundheitliche Kompetenzen stärken« auf eine nachhaltig bessere Gesundheitsqualität in der Bevölkerung.

Bei der Bestimmung der Gesundheitsziele wirkten viele Akteure mit, die das gesundheitliche Wohl der Bevölkerung im Auge haben und nicht nur eine Verfestigung des Medizinsystems. In den verschiedenen Arbeitsgruppen, die die einzelnen Ziele, Teilziele und Maßnahmen ausgearbeitet haben, wirkten leider wenig Psychologen/innen mit und kein Vertreter des BDP.

Bei einigen Gesundheitszielen wird in der Festlegung von Teilzielen und Maßnahmen deutlich, dass es an psychologischem Know-how etwas gemangelt hat bzw. dass sie durch psychologisches Know-how noch besser bestimmt werden können.

Das Projekt der Gesundheitsziele ist eine wertvolle Ergänzung zu den Disease-Management Programmen (DMP); es bezieht sich auf die gleichen Erkrankungen wie die DMP, hebt aber die psychosozialen Aspekte für die Gesundheit deutlicher hervor. Es bietet auch eine gute Vorlage für die Arbeit im neu gegründeten »Deutschen Forum für Prävention und Gesundheitsförderung«, insbesondere für die Thematik »Gesundheitsförderung bei Kindern und Jugendlichen «

Ausblick: Gesundheitspsychologische Aufgaben für Psychologen/innen

Die genannten Gesundheitsziele mit ihren Teilzielen und Maßnahmen beinhalten viele psychologisch relevante Aufgaben, in denen Psychologen/ innen, insbesondere Gesundheitspsychologen/ innen, aktiv mitarbeiten können, und zwar als

  • psychologische Institute,
  • freiberufliche Praxiseinrichtungen,
  • maßgebliche Mitarbeiter/innen in Organisationen des Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesens,
  • maßgebliche Mitarbeiter/innen in entsprechenden Fachgesellschaften.

Aus den im Projekt beschlossenen Zielen und Maßnahmen lassen sich als psychologische Tätigkeitsfelder im Sinne der Gesundheitspsychologie und Klinischen Psychologie besonders hervorheben:

Brustkrebs

  • Aus-, Fort-, Weiterbildung und Trainingsmöglichkeiten für Gesundheitsberufe zur Verbesserung ihrer Kommunikationsfähigkeit mit Patientinnen, damit sie deren Selbstbestimmung und Selbstkompetenzen eher fördern statt mindern,
  • psychosoziale und psychoonkologische Fortbildungen für Gesundheitsberufe,
  • Maßnahmen zur psychoonkologischen Diagnostik, Betreuung und Therapie in einem bundesweit flächendeckenden, Patientinnen bekannten Angebot an psychosozialer und psychoonkologischer Beratung und Betreuung

Tabakkonsum

  • mehr Nichtrauchertrainings bei Krankenkassen und in Rehabilitationseinrichtungen,
Gesundheitsförderung bei Kindern und Jugendlichen
  • Gesundheitsförderungsmaßnahmen für Eltern, Erzieher/innen und Lehrer/innen zur Vermittlung von Stressbewältigungs-, Kommunikations- und Konfliktlösungs-Kompetenzen an Kinder und Jugendliche konzipieren, durchführen und evaluieren, auch mit dem erwünschten Nebeneffekt, die entsprechenden Kompetenzen bei den Eltern, Erziehern/ innen und Lehrern/innen selbst zu fördern,
  • die von Psychologen/innen schon entwickelten Maßnahmen zur Förderung von Lebens-, Sozial- und Stressbewältigungs-Kompetenzen für Kinder und Jugendliche (vgl. www.bdp-gus.de/gp/gf-kj.htm) stärker in Schulen, über Krankenkassen und Volkshochschulen zum Einsatz bringen,
  • schulpsychologische Service- und Beratungsstrukturen für gesundheitsfördernde Schulentwicklungen.

Gesundheitliche Kompetenz

  • Maßnahmen zur Förderung von gesundheitlicher Selbstbestimmung und Selbstverantwortung für Gesundheits- und Krankheitsphasen konzipieren, durchführen und evaluieren,
  • mehr Selbsthilfeförderung durch Selbsthilfe-Kontaktstellen und -Organisationen und mehr Fortbildung bei Gesundheitsberufen zu Selbsthilfe-Möglichkeiten,
  • Aus-, Fort-, Weiterbildung und Trainings für Gesundheitsberufe für ihre Kommunikationskompetenzen mit Patienten, damit Patienten in ihrer Selbstbestimmung und Selbstkompetenz gestärkt werden.